Beim Umgang mit Pferden offenbaren sich verborgene Gefühle

- und bieten sich neue Chancen

Meine ersten Begegnungen mit Pferden waren geprägt von zitternden Knien, Panikattacken und heftigem Darmgegrummel. Leider passte das alles gar nicht zu dem Bild, das ich von mir hatte. Mit 35 Jahren, dreifache Mutter, berufstätig, politisch aktiv – mein Image litt beträchtlich. „Hast du so eine Angst runterzufallen,“ fragte meine Reitlehrerin verblüfft. „Nein,“ antwortete ich noch verblüffter.“Ich bin Volleyballerin, ich kann fallen.“ Was aber war es dann?

Der Angst auf die Spur kommen

Ich hatte Erfolgserlebnisse wie ein Pferd aus einer 25-köpfigen Herde geholt, die hinteren Hufe ausgekratzt, einen kleinen Ausritt auf einem Handpferd (übrigens mit meinem 12-jährigen Sohn als Aufpasser), einen kleinen Galopp, – ein Seufzer der Erleichterung jagte den nächsten. Meiner Umgebung konnte ich gar nicht klar machen, wieviel Heldenmut ich für dies „selbstverständlichen“ Aktionen aufbringen musste. Ich konnte dies Pferde nicht einschätzen. Mir fehlte es an Fach- und Reitkenntnissen und das barg die Gefahr, komplett die Kontrolle zu verlieren. Das war der Punkt. Oft bin ich abgestiegen – mittlerweile bin ich stolz darauf, denn ich übernahm die Verantwortung für mich. Damals schätzte ich das als Schwäche ein.

 

Leg dich ans Fußende, mach dich nicht so dick!

Die Angst muss weg, das war mein durchgängiges Gefühl. Ich habe sie gehasst, hatte Angst vor der Angst. Mit ihr war ich ständig beschäftigt, bzw. sie beschäftigte mich. Der Durchbruch kam, als mir ein Freund sagte: „Akzeptiere sie, aber lass sie sich nicht so dick machen. Tu sie in eine Seitentasche deines Rucksacks, aber lass sie nicht den ganzen Rucksack ausfüllen.“ Für meine Kinder gab es den Rat: „Sag deiner Angst, sie soll sich nicht so dick machen im Bett. Leg dich ans Fußende, das reicht!“ Die Angst wurde meine Begleiterin, sogar zu einer klugen Freundin, die mich vor manchen Gefahren bewahrte. Ich verstand ihre Signale: hier bist du nicht fest im Sattel, da gibt es was zu tun, zu lernen, zu fragen – zu lassen.

 

Mit statt gegen – die Stärken stärken

Die kleinen Erfolgserlebnisse haben mir gezeigt, dass es auch die andere Frau in mir gab, die Reiterin, die begeistert war, sich frei fühlte. „Bitte, lass mich heute die Reiterin mitnehmen, treffen, leben!“ mit diesen Gedanken fuhr ich zum Pferd. Dazu kam, dass ich immer wieder ein neues Pferd bekam, wenn ich mich auf meinem alten sicher fühlte. Ich suchte Wege, die mich vorwärts, ohne zugleich an den Rand meiner Nerven brachten. Ich suchte mir Sicherheit in Trainern, arbeitete auf abgegrenzten Plätzen und kam – gefühlt viel zu langsam - vorwärts. Ich ging auch mal Schritte zurück oder machte – nix, einem guten Rat aus einem Buch von Hempfling folgend. Und ich hörte auf, mich mit irgendwem zu vergleichen.

 

Mit Pferden lernen ohne Fassaden

Auf meinen Vorstellungsbögen frage ich nach drei Assoziationen zu „Pferden“. Neben Schönheit, Freiheit und groß wird „Respekt einflößend“ oder „Angst“ genannt. Viele Teilnehmenden hatten mal einen Sturz oder ein unangenehmes Erlebnis, andere fühlen sich für Reitstunden zu alt, waren aber schon immer von Pferden fasziniert. Da wir oft ausschließlich vom Boden arbeiten, genießen sie es, endlich Kontakt mit einem Pferd haben zu können, ohne gleich reiten zu müssen.

Ein erster und großer Schritt der Workshops ist es, die Angst, das Grummeln zu benennen und ihm Raum zu geben. Schon hier kann man das Erfolgsrezept der Pferdeangebote ablesen: die Menschen sind da und bringen sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit ein, Rollenfassaden funktionieren nicht auf dem Reitplatz. Das Setting draußen in der Natur öffnet zusätzlich die Sinne und das schafft Raum für neue Perspektiven, veränderte Einschätzungen und verblüffende Erfahrungen.

 

Übrigens: Natürlich habe ich auch noch Angst in unbekannten Situationen, bin vorsichtig mit fremden Pferden und bin immer auf der Suche nach dem nächsten, sinnvollen Schritt nach vorne – für mich, meine Klienten und überhaupt im Leben. Aber: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“ wusste schon Seneca.