Es gibt Menschen, die fallen immer wieder auf die Füße.
Egal, ob sie eine Pleite hinlegen, einen Partner oder eine Partnerin verlieren, ihre Heimat verlassen müssen – nach einer Weile haben sie wieder einen Platz im Leben gefunden und sind oder wirken zufrieden, wenn nicht sogar glücklich.Diese Fähigkeit, aus Krisen positiv hervorzugehen und nicht im Hader zu versinken, nennt man Resilienz.
Resilienz kann man auch mit Pferden lernen am Mokassintag 8. Juni bei equi valent - Mit Pferden lernen.
Ein Workshop gemeinsam mit Marlena Schultz, equi valent Coach.
Begabung, Training oder Disziplin?
Die haben es gut, oder? So eine optimistische Grundausstattung würde sich jeder Mensch ins Lebensgepäck wünschen. Aber ist es so?
Diese Frage interessiert auch die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner, die durch ihre Forschung für manche zur „Mutter der Resilienz“ wurde. Hier könnt ihr
Sie untersuchte und begleitete auf der hawaiianischen Insel Kauai 640 Jugendliche über mehrere Jahrzehnte, um zu klären, welche Grundbedingungen es braucht, um gut durchs Leben zu kommen oder andersherum: Führen schlechte Startbedingungen, ein schwieriges soziales Umfeld, geringe Schulbildung zwangsläufig zu Drogen, Kriminalität oder Gewalt? Erinnern wir uns: damals war die spannendste Frage der Forschung unterschiedlichster Disziplinen, was und wieviel Anteil Erbanlagen haben und was ist sozial erlernt?
Auch das Ergebnis war beeindruckend: 45% der untersuchten Jugendlichen mit schlechten Lebensbedingungen machten ihren Weg: Sie ergriffen einen Beruf, gründeten Familien und führten ein stabiles Leben. Was hatten sie, was die anderen nicht hatten?1
Du schaffst das!
Sie hatten – mindestens einen! - Menschen, der an sie glaubte. Das war das Zentrum der Erkenntnisse von Emmy Werner, jemand, der sie immer wieder aufmunterte, ihnen Selbstbewusstsein und Optimismus zusprach. Das mussten nicht die Eltern sein, sondern mal war es eine Lehrerin, die Oma, ein Nachbar….Daraus entwickelte sich Selbstvertrauen, der Mut, wieder neu anzufangen, nach Lösungen zu suchen statt im Elend und Mutlosigkeit zu verharren.
Und noch etwas zeigt die Forschung: Menschen, die schon mehrere Schicksalsschläge hinter sich haben, fällt es leichter, diese zu verkraften und wieder zu ihrer Stärke zu finden. Das lässt darauf schließen, dass man Resilienz üben kann. Es lohnt sich also, sich damit zu befassen.
„Vulnerable, but invincible“2
Als die „7 Säulen der Resilienz“ benennt Eva Kalbheim:
Optimismus
Akzeptanz
Handlungsfähigkeit
Verantwortungsbereitschaft
Lösungsorientierung
Netzwerkpflege
Zukunftsplanung. 3
Wer einige der Säulenbausteine besonders gut beherrschte, war mein Vater. Daraus resultiert mein augenzwinkerndes Resumee: „Resilienz wurde in Ostpreußen erfunden“. Bis zu seinem Tod mit 99,5 Jahren schaffte er es immer wieder, sich im Leben einzurichten. Sein wichtigstes Pfund dabei war Akzeptanz. Hier einige Stationen: Er wuchs in Ostpreußen bei seinen Großeltern auf. Als kleiner Junge entschied er sich dazu, um seine Eltern zu entlasten, die mit sieben Kindern im Ruhrgebiet gerade die Inflation überstanden hatten. Dabei zerplatzte der Traum vom eigenen Bergmannhäuschen und überhaupt der vom besseren Leben.
Als er in Kriegsgefangenschaft geriet, hofften alle seine Kameraden „Weihnachten sind wir zuhause“, doch seine Strategie war, sich auf zwei Jahre einzustellen und erst dann neu nachzudenken. 1947 war er wieder frei und startete ein neues Leben im Ruhrgebiet.
Als er nach einer Darmkrebs-OP mit über 80 ans Bett gefesselt war, las er viel, trainierte seinen Körper ehrgeizig und optimistisch, doch noch mal laufen zu lernen. Daraus wurde nichts, aber er genoss den Kontakt zu den Menschen, die ins Haus kamen, um ihn zu pflegen, mit ihm zu trainieren oder – das gute Essen, vor allem meiner Mutter, die eine begnadete Köchin war. Als seine Augen nachließen und damit Lesen unmöglich wurde, fragte ich ihn, ob er sich nicht langweilte. „Nein, eigentlich nicht. Ich denke viel nach, schlafe ja auch viel.“ Er hatte einen Riesenfernseher und wenn er etwas nicht verstanden hatte in den Nachrichten, musste ich ihm die Hintergründe erklären. Er hatte eine ausgesprochen feine Nase und bei unseren Ausflügen beschrieb ich ihm die Welt, legte ihm Blumen in die Hände, damit er sie erleben konnte.
Bedingt durch Corona starb er ohne Begleitung alleine, aber ich weiß, wenn ich einfach in sein Zimmer geplatzt wäre, hätte er gesagt: „Dani, mach es den Leuten hier nicht so schwer, die können nichts dafür und arbeiten eh schon so hart. Kind, ich komme schon klar.“ Das hat mich zu dem Satz geführt: „Resilienz wurde sicher in Ostpreußen erfunden.“
Kann man Resilienz lernen?
Man kann und man muss es immer wieder üben. Denn es ist keine fixierte Fähigkeit, die nicht auch verschwinden oder schwächer werden könnte. Wichtig dabei ist erst einmal, sich selber kennenzulernen:
Gehst du eher optimistisch durch den Tag oder an Probleme heran oder denkst du schnell mit dem „das wird sowieso nichts“, oder „das geht eh nicht“?
Haderst du lange mit gegebenen Umständen oder kannst du Gegebenheiten schnell akzeptieren, sei es das laute Hotelzimmer, die schlechteren Bedingungen am Arbeitsplatz oder auch Coronamaßnahmen?
Bleibst du handlungsfähig, wenn ungewohnte Umstände eintreffen oder wirst du fahrig, blockierst du gar vollständig? Wie war es bei schlechten Nachrichten? Hast du mal einen Unfall erlebt? Wie hast du ihn erlebt? Wie hast du dich erlebt? Was passiert, wenn der Kuchen zwei Stunden vor dem Kaffeebesuch missglückt? Kannst du die Lage realistisch einschätzen? Was kann eigentlich wirklich im schlimmsten Fall die Konsequenz sein? Entwickelst du schnell Lösungsstrategien oder verfällst du eher ins Jammern, erstarrst du ganz oder kannst du schnell die Situationskomik erfassen und darüber lachen?
Übernimmst du Verantwortung für dein Leben oder sind es die Vermieter, die Arbeitgeber oder die Politik, denen du dich ausgeliefert siehst? Siehst du deine Handlungsspielräume und nutzt du sie auch? Gestehst du dir ehrlich deinen Anteil an den Umständen an? Sind es die Lehrer, die dir oder deinen Kindern schlecht wollen oder eher doch die eigene mangelnde Lerndisziplin? Und wenn ersteres, hast du den Mut für ein klärendes Gespräch?
Wer steht an deiner Seite? Mit wem redest du über Ihre Probleme? Wen fragst du um Rat? Mit wem erlebst du entspannte, fröhliche Zeiten? Bei vielen Menschen ist auch der tierische Partner der Kumpel, der immer da ist, der Hund, der nicht von der Seite weicht oder das Pferd, das mit einem durch Dick und Dünn geht oder einen auch zum Turniersieg trägt.
Hast du Pläne, Visionen, Wünsche? Möchtest du noch etwas erreichen, bspw. den Garten neu gestalten, eine Reise machen, kochen oder Brot backen lernen, einen Pullover stricken, ein Regal bauen, eine neue Sportart anfangen oder zumindest ein bisschen joggen,…..
Was steht auf deinem Zettel? Ist er voll, halb leer, leer oder voll und du traust dir nicht zu, irgendwo anzufangen? Hier ein paar Tipps:
Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt
Fang klein an.
Verabrede dich diese Woche mit einer Freundin.
Geh eine Runde spazieren und ab und an mal mit Stechschritt, bis du ein wenig außer Puste kommst.
Probiere mal ein neues Rezept aus oder koche dir überhaupt mal ein eigenes Gericht.
Mach Pausen im Job und geh mit offenen Sinnen vor die Tür.
Stelle eine Kleinigkeit in deiner Ernährung um, bspw. trinke alle 90 Minuten ein Glas Wasser oder Tee. 4
Wir schaffen das
Diese Satz Angela Merkels ist für mich der klügste ihrer Amtszeit. Warum? Was sollte eine Landesmutter – eine Führungsperson, ein Elternteil - besseres machen, als die ihr Anvertrauten in ihrer Stärke zu bestärken? Es gab Friseur*innen am Münchner Bahnhof, die Flüchtenden die Haare schnitten. Es gab eine Spenden- und Unterstützungsbereitschaft, auf die ich stolz war und bin. War dieses Gefühl nicht ein Besseres als das ständige Starren auf Probleme? Auf das was nicht klappt? Und was ist das für eine Politik, die Stimmen damit fängt, den Menschen Angst zu machen und ihnen ihre Stärke zu nehmen?
Wir haben auch und gerade in der Demokratie viele Handlungsmöglichkeiten vom Protest auf der Straße zu Bürgeranträgen bis zum eigenen Mandat.und können uns so als selbstwirksam erleben. Das nur nebenbei.
Kleiner kritischer Exkurs
Aber halt: Natürlich können Unternehmen Resilienztrainings auch dazu nutzen, Menschen fitter zu machen dafür, mit schlechten Arbeitsbedingungen, besser klarzukommen (Beispiel Pflege).
Natürlich kann auch der resiliente Mensch als Leitbild missbraucht werden als ein Mensch, der in der modernen Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten klarkommt. Hier ist Kritik berechtigt und Vorsicht geboten. 5
Gönnt auch den Kindern die Erfahrung des Scheiterns und nehmt ihnen nicht alles ab. Seid aber an ihrer Seite, wenn sie den Weg aus Krisen herauszufinden suchen. Sitzenbleiben? Okay, dann geht es leichter weiter, weil der Stoff schon mal da war. Den Job verloren? Gut, vielleicht ist es die Chance, noch mal was Neues zu machen. Schwierigkeiten mit dem Chef? Vielleicht wäre es möglich, selber ein Mitarbeitergespräch zu erfragen, ein Feedback zu geben, nachzufragen, ob der eigene Eindruck auch richtig ist.
Aktuell erlebe ich in meinem Deutschunterricht für Flüchtlinge viele Menschen, die ehrgeizig lernen, sich hier etwas aufbauen wollen, nach Ausbildungen fragen. Ich ziehe vor diesen Menschen den Hut, die übers Meer kamen, jetzt erleben, dass ihre Angehörigen in Lebensgefahr sind, sei es durch Krieg oder Erdbeben und dennoch im Unterricht über ihre – und meine - Fehler lachen können.
Resilienz – wie ihr seht ist es nicht nur was für alte Ostpreußen.
Literatur:
1Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch. 2022. S. 63-66.
2Emmy Werner zitiert nach Kalisch S. 65
3Eva Kalbheim: Resilienz für Dummies. 2016. S. 30
Kalisch nennt ein „positives, zugewandtes Temperament, gute kommunikative Fähigkeiten, Impulskontrolle oder ein positives Selbstbild“. Ebda S.66
4Charles Duhigg: Die Macht der Gewohnheit. Wie Kleinigkeiten das eigene Leben oder sogar ein Unternehmen, ein Land oder die Welt verändern können, beschreibt dieses Buch überzeugend. Seitdem bin ich Fan von kleinen Veränderungen und warte gespannt, was sich Großes daraus ergibt.
5Dazu und überhaupt interessant ist dieser Podcast: SWR Podcast zu Resilienz